Garten statt Klassenzimmer – Zeitungsartikel von Lena Marie Jörger aus der Badischen Zeitung

EMMENDINGEN. Grünkohl, Kräuter, Erdbeeren – seit einem Jahr pflegen die Freizeitgärtner von der Ramie-Gardening-Gruppe ihre Beete im Ramie-Quartier. Nun haben sie Verstärkung bekommen: Schüler der Fritz-Boehle-Grund- und Werkrealschule treffen sich alle sechs bis acht Wochen mit den Ramie-Gärtnern und lernen in einem Projekt Wissenswertes rund um Biologie, Botanik und gesunde Ernährung. Diese Woche hieß es für die Drittklässler zum ersten Mal: raus aus der Schule und ran an Schaufel und Rechen.

Mit beiden Händen gräbt Saphira ein Loch in die Erde. Links daneben steht ein Salatsetzling bereit. Die Achtjährige greift vorsichtig danach, setzt ihn in die Kuhle und drückt die Erde rundherum sanft an. „Super“, lobt ihre Klassenlehrerin Katrin Böhler, die neben dem Beet im Ramie-Garten an der Ecke Ernst-Barlach-/Kätze-Kollwitz-Straße steht. Sie hat eine Digitalkamera in der Hand und hält den ersten Praxistag des neuen Projekts Fritz-Boehle-Schul-Gardening fest. Sie war es auch, die die Idee dazu hatte – gemeinsam mit Hermann-Josef Schumacher, ihrem Nachbarn und leidenschaftlichem Ramie-Gärtner. „Ich habe die Kinder, er das Knowhow“, sagt die Lehrerin und lacht.

Alle sechs bis acht Wochen Praxisunterricht im Garten
Im vergangenen Jahr haben die Freizeitgärtner und die Schule schon einmal bei einem Projekt rund um die Kartoffel zusammengearbeitet. Das neue Projekt ist breiter angelegt. Ziel ist es, den Schülern zu vermitteln, welche Arbeiten vom Vorbereiten der Beete bis hin zur Ernte notwendig sind. Alle sechs bis acht Wochen werden sie sich mit den Ramie-Gärtnern zum Praxisunterricht treffen. Dabei werden auch Themen wie „Wer lebt alles im Boden“ und „Gärtnern ohne Chemie – wie geht das?“ behandelt. Außerdem wird das Geerntete zusammen weiterverarbeitet. „Es ist immer schön, wenn die Kinder etwas tun können“, sagt Katrin Böhler. „Das sind meist auch die Dinge, die hängen bleiben.“

„Alle mal herhören“, ruft Hermann-Josef Schumacher in die Runde aus 22 Schülern der 3a, der Klassenlehrerin, zwei Müttern und vier weiteren Freizeitgärtnern. Mit lauter Stimme teilt Schumacher die Kinder in fünf Gruppen ein: „Die Neugierigen“, „Die Bedächtigen“, „Die Schaffer“, „Die flinken Finger“ und „Die Früchtchen“. Die Namen sorgen für Gelächter. Schumacher erklärt unbeirrt den weiteren Ablauf. Jede Gruppe muss insgesamt fünf Stationen absolvieren: Schablonen aus Pappe für neue Beete ausschneiden, Beete mit Rheinkieseln umranden, mit Erde füllen, pflanzen und säen sowie Obstsalat für die spätere Pause vorbereiten.

„Warum legen wir Pappe unter die Beete?“, fragt Schumacher, doch die richtige Antwort bleibt aus. „Damit kein Unkraut durchkommt“, erklärt der Hobbygärtner schließlich. „Permakultur nennt sich das. Damit haben wir weniger Arbeit.“ Während er erklärt, haben sich einige Schüler schon einen Spaten gegriffen und wollen gerade loslegen, damit Erde in Eimer zu schaufeln. „Die Schaffer-Gruppe will schon anfangen“, sagt Katrin Böhler. Alle lachen. Hermann-Josef Schumacher erklärt noch kurz, dass die Stationen gewechselt werden, sobald er einen Gong anschlägt. Dann geht es auch schon los.

Begeistert machen sich die Kinder an die Arbeit. Am Tisch der Versorgungsgruppe, der im hinteren Teil des Gartens steht, landen schon nach wenigen Minuten kleingeschnittene Bananen, Äpfel und Kiwis in Schüsseln. Während sie schnippeln, erfahren die Kinder allerlei Wissenswertes über die Früchte, zum Beispiel wo und wie sie wachsen und warum sie gesund sind.

Wenige Meter weiter sitzen vier Schüler um eine der Pappschablonen herum. Einer hat ein Messer in der Hand. Behutsam schneidet er damit entlang einer mit pinker Sprühfarbe aufgemalten Linie. „Das sieht ja aus, wie eine Eistüte“, kommentiert ein Schüler die Form der Schablone. Die anderen lachen. Tatsächlich sind die Beete in Form von Blütenblättern gestaltet.

„Ein Regenwurm!“, ruft ein Schüler, der an der nächsten Station gerade dabei ist, einen orangefarbenen Eimer mit Erde zu füllen. „Nimm den einfach mit, der kommt ins Beet und lockert dort die Erde auf“, erklärt Freizeitgärtner Wolfgang Scholz. Er und seine Frau sind Ramie-Gärtner der ersten Stunde und gehören zu den vier bis sechs Familien, die sich regelmäßig treffen und den Garten gestalten. Während die einen mitmachen, um sich gesund zu ernähren, schätzen andere die Begegnung mit der Natur oder die gemeinsame Zeit und den Austausch mit Nachbarn.
Kinder legen einen Schaugarten an
Das Ehepaar Scholz zieht es jeden Donnerstag zu den Beeten. „Als wir von der Idee des urbanen Gärtnerns erfahren haben, haben wir uns gesagt: Da machen wir mit“, sagt Dagmar Scholz. „Wir arbeiten auch im Samengarten in Eichstetten mit“, ergänzt ihr Mann. „Wir haben einfach Spaß an der Gartenarbeit und daran, Kindern unser Wissen weiterzugeben“, so Dagmar Scholz.

Sie steht gerade zwischen zwei Beeten, in die die Kinder Kartoffeln und Getreidesorten wie Sommerhafer, -weizen und -gerste gesät haben. In diesem Schaugarten können die Drittklässler, aber auch Kinder aus der Nachbarschaft, die Entwicklung der Pflanzen von der Saat bis zur Ernte verfolgen. „Rundherum säen wir jetzt noch Kornblumen“, erklärt Dagmar Scholz, „das sieht später sehr hübsch aus.“ Schnell greifen die Kinder zu den Samen und lassen sie in die vorbereiteten Erdrillen fallen. „Jetzt müssen wir die Rille noch mit Erde auffüllen, sonst könnte es passieren, dass Vögel die Körner stibitzen“, sagt sie. Sofort befolgen die Kinder ihre Anweisung. Viele von ihnen haben zu Hause keinen Garten. „Nur bei Opa und Oma“, sagt zum Beispiel die achtjährige Saphira. „Mir macht das sehr viel Spaß, besonders die Obstsalatstation“, fügt sie hinzu. Ihr Mitschüler Zain sieht das ähnlich. „Ich helfe gerne meiner Mama in der Küche. An der Station habe ich viel gelernt“, sagt der Neunjährige. Defne, ebenfalls neun Jahre alt, hat bereits Erfahrungen im Umtopfen gesammelt, wie sie erzählt: „Ich helfe meiner Mama manchmal, Erde in Töpfe zu füllen.“ Und: „Jetzt habe ich Lust, ihr öfter dabei zu helfen.“

Ramie-Gardening

Die Idee dazu ist im Rahmen der Entwicklung des Ramie-Quartiers entstanden. Im Auftrag der Stadt sammelte das Planungsbüro Bagage Ideen der Anwohner. Ein Wunsch war die Integration eines Gartens in das Gelände. Mit von der Stadtgärtnerei bereitgestellter Erde legten die Ramie-Gärtner Beete an und bepflanzten sie. Die Gruppe trifft sich jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr. Wer Lust hat mitzumachen, ist eingeladen – auch Garten-Neulinge. „Einen grünen Daumen braucht man nicht unbedingt“, sagt Hermann-Josef Schumacher. Infos: hermann-schumacher@gmx.net.

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